Nein. Wir sind nicht alle gleich schön aber das ist ok.
Ich liebe den neuen Trend rund um das Thema #bodypositivity, der sich in den vergangenen Jahren medial entwickelt hat. Endlich kämpfen Frauen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, dafür gesehen, akzeptiert und geliebt zu werden, für das, was sie sind. Aber was sind diese Frauen denn nun genau? Bzw. was sind wir? Denn ich zähle mich durchaus zu den Frauen, die nicht gerade ein makelloses Puppengesicht ihr eigen nennen darf und auch bestimmt nie in den Club der #girlswholift und #bootybabes aufgenommen wird. Sind wir alle auf unsere Art und Weise schön? Können wir diese Frage wirklich mit voller Überzeugung mit „Ja“ beantworten? Und den Charakter lassen wir bei dieser Fragestellung komplett außen vor. Ich sage: nein, wir sind nicht alle schön aber das ist auch ok so.
Ich schaue mir seit einiger Zeit auf Youtube und Instagram Vlogs, Realtalks, Fashion Tipps und Beautycontent von curvy Frauen an, die tatsächlich auch sehr weit weg von meiner eigenen Figur sind, obwohl ich mich selbst nicht als zierliche Elfe bezeichnen würde. Tatsächlich interessiere ich mich dennoch für den Content der curvy Damen und fühle mich, von den zumeist sympathischen und selbstbewussten Mädchen und Frauen, sehr gut unterhalten.
Das liegt daran, dass ich fasziniert von dem Selbstbewusstsein bin, mit dem diese jungen Frauen sich teilweise vor mehreren 10.000 bis Millionen Menschen präsentieren, obwohl sie nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen bzw. sogar sehr viel weiter weg von diesem entfernt sind als die „Durchschnittsfrauen“. Mit Durchschnittsfrauen bezeichne ich in diesem Kontext lediglich Frauen, die in ihrem Gewicht und dem damit verbundenen äußeren Erscheinungsbild der mehrheitlichen Gruppe in Deutschland angehören. Ich möchte mit diesem Begriff keine Norm definieren oder beurteilen, was normal ist.
Wir sind alle schön
So schaue ich mir mit Bewunderung diese jungen Frauen an und höre ihnen zu, wie sie sich gegen Körperideale aussprechen und über ihren Umgang mit Erfahrungen, die sie hinsichtlich ihres äußeren Erscheinungsbildes gemacht haben. Neben ihren oftmals auch negativen Erfahrungen, haben es sich diese jungen Frauen zur Mission gemacht, ihren Zuschauer*innen ein neues Wertebild über ihr Äußeres zu vermitteln. Ein positives, selbstliebendes und gutes Bild über all ihre äußeren Makel. Wir sind schön, wir alle sind schön, ob mit Cellulite, ob mit Übergewicht, ob mit Akne, ob mit kleinen Brüsten, ob mit Knollnasen, völlig unterschiedlich großen Schamlippen oder Schwangerschaftsstreifen.
Ich sehe Frauen, die auf Social Media Kanälen dafür kämpfen, dass jeder Makel endlich von allen Menschen als schön empfunden und wahrgenommen wird. Dass Frauen keinem bestimmten Körperideal entsprechen müssen, um schön zu sein. Dass jeder Mensch, auf seine Art und Weise, schön ist. Und ich sehe Zuschauer*innen, hauptsächlich aber weiblich, die sich endlich gehört und gesehen fühlen und kommentieren: „Genau, wir alle sind schön“ oder „Du bist so wunderschön“ während die junge Frau im Video, die gerade eine neue Curvy-Modelinie ausprobiert, sich in ein 3XL Kleid wirft und glücklich zustimmend in die Kamera strahlt.
Politisch korrekt oder ehrlich?
Die Meinung darüber, dass alle Körper gleich schön und wundervoll sind, gilt momentan als feministisch korrekt. Aber seien wir doch mal ehrlich, Schönheit ist meistens nicht gerecht verteilt auf der Welt aber das wichtigste ist doch: das ist ok so! Und als kleiner Fakt nebenbei, Intelligenz und Talent sind es auch nicht. Warum versuchen wir uns also einzureden, dass wir alle gleich schön sind? Wollen wir politisch korrekt oder ehrlich sein? Die Entscheidung liegt selbstverständlich bei jedem einzelnen, ich aber entscheide mich für die Ehrlichkeit.
Warum versuchen wir uns also einzureden, dass wir alle gleich schön sind?
Ich sehe keine Influencer, Content Creator oder Otto-Normal-Menschen darüber propagieren, dass alle Menschen gleich intelligent, gleich talentiert sind oder gleich liebenswerte Eigenschaften hat, wie alle anderen Menschen auf dem Planeten. Woran liegt das? Stellt sich nicht die Frage, ob diejenigen, die allen Menschen die Meinung über eine gleichwertige äußere Schönheit anpreisen, nicht tatsächlich oberflächlicher sind, als sie selbst eigentlich vermitteln wollen und somit gegen ihr nach außenhin propagiertes Wertebild sprechen.
Bodypositivity ist wichtig
Bodyshaming ist scheiße, anders kann ich es nicht sagen. Jemanden für seinen Körper oder sein Aussehen zu verurteilen ist schrecklich und deswegen freue ich mich darüber, endlich auf gängigen Online-Shops unbearbeitete Frauen mit sehr unterschiedlichen Körpertypen zu sehen. Frauen, die uns zeigen, wie die präsentierte Mode an dicken, zierlichen und „normalen“ Frauen ausschaut. Der Trend Richtung #bodypositivity wurde auch endlich in der Modeindustrie erkannt und bietet natürlich Potenzial. Wer hier als Modeimperium nicht nachzieht, verhält sich nicht mehr zeitgemäß und das ist auch gut so.
Es ist großartig als Frau erkennen zu dürfen, dass Makel, Fehler, Unperfektionen immer mehr Wege auf Social Media und Werbung zu uns finden. Denn viele Menschen sind eben nicht mit makellos glatter Haut, füllig prächtigen Haaren und einem straffen Hintern gesegnet. Es ist großartig zu erkennen, dass unsere unschönen Aspekte normal sein dürfen. Das macht sie aber dennoch nicht schön.
Schönheit ist subjektiv
Schönheit ist subjektiv. Das was der eine schön findet, gefällt dem anderen nicht und andersherum. Wie also können wir darüber sprechen, dass wir alle gleich schön sind, wenn alleine die Empfindung über Schönheit so unterschiedlich ist? Alleine aus diesem Grund ist der Versuch, allen Menschen die gleiche Schönheit zu zusprechen, nicht korrekt und somit auch eine Mission Impossible.
Menschen ihr Quäntchen Glück in der Beauty-Lotterie gönnen
Selbstverständlich finden sich an jedem Menschen, gewisse Merkmale, die schön sind. So kann die nette Nachbarin, die zwar 100 kg auf die Waage bringt, hübsche Augen haben und die mürrische Kassiererin mit ihrem vorzeitig erschlafften gealterten Gesicht, straffe Waden vorweisen. Wer würde aber denn, wenn eine gute Fee vor uns stünde, die uns die Cellulite in glatte Haut umwandelt, uns den riesigen Höcker von der Nase entfernt oder die schlaffen Brüste ein wenig anhebt, nicht ja sagen? Trotzdem sollten wir neidlos anerkennen, dass es Frauen gibt, die nun einmal das größere Stück Kuchen abbekommen haben, was die Schönheit anbelangt. Und ist nicht das der Weg zur Selbstliebe und Akzeptanz? Zu erkennen, wer wir sind, wie wir aussehen mitsamt all unserer Fehler und anderen schöneren Menschen ihr Quäntchen Glück in der Beauty-Lotterie zu gönnen?
Vorzüge werden immer unterschiedlich verteilt sein
Zu erwarten, dass wir irgendwann alle als gleichwertig schön angesehen werden könnten, wäre so als ob wir allen 500 Teilnehmern eines Marathons den 1. Platz auf dem Siegertreppechen verleihen würden. Das ist nicht möglich. Wir können nicht in jeder Qualifikation die gleiche Punktzahl erreichen.
Die Welt ist meistens ungerecht, war sie schon immer. Wir können nicht alle alles haben. Wenn wir aber Ungleichheiten nicht akzeptieren und auch nicht einräumen können, wie sollte es da möglich sein, jemals im Reinen mit sich selbst zu sein. Und das ist vielleicht der eigentliche Knackpunkt: Dass wir so schwer damit klar kommen, wenn jemand von Natur aus von irgendwas mehr hat oder etwas besser kann. Und so ist es natürlich einfacher, zu Menschen mit Einfluss oder einer gewissen Followerzahl aufzublicken, die uns das sagen, was wir hören wollen. Dass wir alle gleich schön sind, obwohl es so nicht ist.
Ich habe zufälligerweise heute einen Satz gelesen, der meine Meinung auf den Punkt zusammenfasst:
Der Versuch zu glauben, dass wir alle gleich wunderschön sind, ist absurd. Außerdem ist diese Aussage genauso oberflächlich, wie Menschen, die andere für ihren Körper kritisieren und shamen. Jeder Mensch hat seine Vorzüge und diese müssen nicht optischer Natur sein. Lasst uns alle mehr darauf konzentrieren, dass Aussehen nicht den größten Stellenwert in der Gesellschaft haben sollte und das erreichen wir unter anderem auch, indem wir aufhören alle an diesem riesigen gesellschaftlichen Schönheitswettbewerb teilzunehmen, indem alle Siegerinnen sein möchten.
Einen Artikel über Vorverurteilungen gibt’s hier: Ich bin transparent